Wie trauert ein Volk?

Kranzniederlegung am Volkstrauertag Am Anger in Hünfeld

14.11.2010 - „Kann ein Volk trauern?“ - unter diese Fragestellung stellte Pfarrer Borta seine Worte zum Volkstrauertag Am Anger in Hünfeld. Vor zahlreichen Gästen legten Bürgermeister Dr. Eberhard Fennel, Stadtverordnetenvorsteher Dietmar Weidenbörner, Polizeidirektor Werner Friedrich von der Bundespolizeiabteilung Hünfeld, Uwe Möchel von der Justizvollzugsanstalt Hünfeld sowie Manfred Aha von der Reservistenkameradschaft Hünfeld einen Kranz am Ehrenmal nieder.

„Kann man überhaupt mit der Waffe in der Hand eine Heldentat vollbringen“ Aus seinem eigenen Lebenslauf versuchte Borta diese Frage zu beantworten. Sein Vater sei Kriegsteilnehmer gewesen, sein Großvater mütterlicherseits in einem sowjetischen Internierungslager „verhungert“, sein Onkel vermisst. Er sei „groß geworden mit der Botschaft: Wir Deutschen haben eben den Krieg verloren - ein gewisses Bedauern schwang immer mit“, erklärte der Stadtpfarrer weiter. Sein Fazit: „Eine der denkbar größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte wäre es wohl gewesen, wenn Deutschland diesen Krieg gewonnen hätte“. Es habe in der Nachkriegsgeschichte - Borta ist Jahrgang 1949 - nur „den Russen“ oder „den Ami“ geworden. Dabei „war eine der größten Bestien des letzten Jahrhunderts der Deutsche.“

„Tiefe Scham, ein Deutscher zu sein, zu diesem Volk zu gehören“ entstand bei Borta bei einem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yadvaschem in Israel 1972. Dies habe nichts mit persönlicher Schuld zu tun. Ihm sei klar geworden, dass er als Kind und Jugendlicher wie viele andere von einem „klaren Freund-Feind-Denken: Freiheit im Westen, Unterdrückung im Osten, der gute Ami, der böse“ Russe geprägt worden sei. Doch dazwischen bestünden viele „Graustufen“, nicht nur Schwarz-Weiß. Doch aus eigener Erfahrung als Priester, der Kriegsdienstverweigerer begleitet habe, oder als Jugendpfarrer und BDKJ-Diözesanpräses in den „unruhigen 80er-Jahren“, in denen Schlagworte wie „Frieden und Gerechtigkeit“ dominierten, könne er sagen: „Gott sei Dank haben sich damals junge Christen heftig gegen eine geradezu perverse Anhäufung von Waffen, eben auch auf deutschem Boden, zur Wehr gesetzt.“

Seit der deutschen Einheit sei dies „von der Geschichte überholt worden“, gleichgültig ob der Zusammenbruch des Kommunismus auf „waffenstarrende Bedrohung“ erfolgte oder durch „eine völlig marode Wirtschaft“ und den „Freiheitswillen der Völker“. Dennoch gebe es noch Kriege auf der Welt, die mehr oder minder wahrgenommen würden. „Not und Elend überall, und wir machen langsam die Festung Europa dicht. Dann werden sich die Völker eines Tages holen, was wir ihnen vorenthalten, oder noch schlimmer, was wir aus ihnen herauspressen.“

Bortas Trauer gelte jener Welt der Kriege und Waffen, der ultima ratio Krieg, fehlender Unterstützung für Friedensforschung und gewaltfreie Strategien, der Waffenexporte, dem Vergessen vergangener Krieg, Hakenkreuzen und SS-Runen wie am Hauneradweg, Attentaten vor allem durch „den entsetzlichen Missbrauch des Namen Gottes“ sowie jeglicher Gewalttat. Dennoch sterbe seine Hoffnung nicht - gerade durch „Jesus Christus, der diese Welt ganz gelebt und ganz durchlitten hat und so diese Welt überwunden hat - auch für Dich und mich.“

Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkfeier vom Männergesangverein Hünfeld unter der Leitung von Vladimir Langenstein und der Stadtkapelle Hünfeld unter der Leitung von Amand Glotzbach.


Bericht und Foto von unserem Helfer Bernd Müller-Strauß.

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